Regierungsrat macht sich Sorgen wegen Zivilschutz-Beständen

05.10.2019

Mit fast 8000 Personen ist der Bestand im Aargau noch gut - es werden aber immer weniger Zivilschützer rekrutiert.

Der Aargauer Regierungsrat macht sich Sorgen wegen des Zivilschutzes: Die sinkenden Personalbestände seien "beunruhigend". Der Regierungsrat überlegt sich daher, die Dienstpflicht zu verlängern - wie es im Bund bereits als Übergangsmassnahme vorgespurt hat. Die sinkenden Bestände beeinflussten die Leistungsfähigkeit des Aargauer Zivilschutzes, schreibt der Regierungsrat in seiner Antwort zu einer Interpellation aus den Reihen von FDP und SVP.

Im Verbundsystem Bevölkerungsschutz - mit den Partnern Polizei, Feuerwehr und Gesundheitswesen und technische Betriebe - sei der Zivilschutz die einzige Reserve des Kantons. Deshalb liefert derzeit Abklärungen des Kantons zu den Auswirkungen der sinkenden Bestände. Ende 2018 zählte der Kanton 7967 Angehörige des Zivilschutzes. Das sind nur 261 Zivilschützer weniger als vier Jahre zuvor. Der Bestand habe sich rotz sinkenden Rekrutierungszahlen als konstant erwiesen, weil die zu entlassenden Jahrgänge vergleichsweise gering gewesen seien. Kopfschmerzen machen dem Regierungsrat jedoch die Rekrutierungszahlen. Im vergangenen Jahr wurden 181 Zivilschützer rekrutiert - 2014 waren es noch 555 Zivilschützer gewesen. Das entspricht einer Reduktion um 65 Prozent.

Bund revidiert Gesetz: Dienstpflicht wird wohl verkürzt

Auf Bundesebene wird derzeit das Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz überarbeitet, das wohl auf Anfang 2021 in Kraft treten wird. Im Zug der Totalrevision des Gesetzes werde der Bund voraussichtlich die Dauer der Zivilschutzdienstpflicht für die Mannschaft verkürzen, hält die Regierung fest. Nach derzeitigem Stand der parlamentarischen Beratungen soll die Zivilschutzdienstpflicht künftig nach zwölf Jahren enden. Gegenüber dem geltenden Recht wird die Dauer der Dienstpflicht somit um acht Jahre verkürzt. Damit stehen die Zivilschützer den Organisationen weniger lang zur Verfügung. Für höhere Unteroffiziere und Offiziere soll die Zivilschutzdienstpflicht unverändert bis zum Ende des 40. Lebensjahrs bestehen.

Als Folge der Fusionen von Aargauer Zivilschutzorganisationen werden die Soll-Bestände zwar sinken, wie der Regierungsrat schreibt. Doch die wegfallenden acht Jahrgänge könnten so nicht aufgefangen werden.

Hoffnung auf Frauen und Ausländer

Ein Potenzial sieht der Regierungsrat in der Erschliessung neuer Zielgruppen zur freiwilligen Zivilschutzdienstleistung. Der Regierungsrat denkt an Schweizer Frauen sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Niederlassungsbewilligung. Der Regierungsrat prüft, ob er die vom Bund vorgesehene Übergangsregelung nutzt. Die Kantone haben mit dem revidierten Zivilschutzgesetz die Möglichkeit, die Schutzdienstpflicht zu verlängern. Die Kantone dürfen die Dienstpflicht aber nur verlängern, wenn dies zur Erhaltung des erforderlichen Bestandes notwendig ist. Die Verlängerung der Schutzdienstpflicht ist bis längstens fünf Jahre nach Inkrafttreten des revidierten Gesetzes möglich.

181 Zivilschützer wurden letztes Jahr im Aargau rekrutiert - 2014 waren es mit 555 noch deutlich mehr.

Quelle: Bericht aus der Aargauer Zeitung vom 1. Oktober 2019.

Der Aargauer Regierungsrat nahm Stellung zu einer Interpellation aus den Reihen der SVP und FDP.

Die Fragen zu den Personalbeständen wurden detailliert beantwortet und zeigen eine unerfreuliche Entwicklung. Der Regierungsrat überlegt sich, die Dienstpflicht zu verlängern.

Sinkende Personalbestände beeinflussen die Leistungsfähigkeit des Zivilschutzes. Alle Regionen im Kanton Aargau werden davon betroffen sein. Deshalb muss ein besonderes Augenmerk auf diese Thematik gesetzt werden. Die Änderung des Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetzes (BZG) beruht auf der Annahme, dass schweizweit pro Jahr 6000 Angehörige des Zivilschutzes (AdZS) rekrutiert werden. Leider sind diese Zahlen aber nicht mehr realistisch. Im Jahr 2018 wurden nur noch 3700 AdZS rekrutiert. Da die Rekrutierungszahlen aber nicht in allen Kantonen gleich sind, ist die Problematik nicht bei allen dieselbe. Entsprechend gibt es Unterschiede im Vollzug der Zivilschutzgesetzgebung. Im Aargau laufen zurzeit mehrere Fusionen. Diese führen zu etwas tieferen Sollbeständen. Damit lässt sich die absehbare Entwicklung im Bund aber nicht abfedern.

Die Rekrutierungszahlen im Aargau zeigen deutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Waren es 2014 noch 555 AdZS, wurden 2018 lediglich noch 181 AdZS rekrutiert. Diese tiefen Zahlen werden die ZSO’s in den nächsten 2 Jahren deutlich zu spüren bekommen. Wenn dazu noch, gemäss BZG-Revision, die Dienstzeit um 8 Jahre verkürzt wird, werden die Personalbestände deutlich sinken. Mit direkter Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit des Zivilschutzes. Sind wir im Aargau heute bei einer Deckung der Sollbestände von 99%, werden es nach der Revision des BZG nur noch 72% sein.

Der Regierungsrat beurteilt diese Entwicklung als beunruhigend. Deshalb laufen im Kanton zurzeit nähere Abklärungen zu den Auswirkungen und möglichen Gegenmassnahmen. Eine davon ist der Gebrauch der 5-jährigen Übergangsfrist im neuen BZG, welches voraussichtlich auf Anfang 2021 in Kraft treten wird. Damit könnten die AdZS noch bis 2026 bis zum 40. Altersjahr verpflichtet werden. Die Bestände würden so nicht auf einen Schlag reduziert.

Sicht eines Aargauer Kommandanten

Die Antworten des Regierungsrats zeigen sehr deutlich die Problematik im Aargau. Einerseits sind die Rekrutierungszahlen eingebrochen, andererseits werden die Personalbestände mit der BZG-Revision verkleinert. Diese Kombination ist brandgefährlich. Die Übergangsfrist von 5 Jahren ist sicher eine Variante, löst aber das Problem nicht. Es gibt lediglich Zeit, die Rekrutierung so anzupassen, dass die Bestände im Aargau gehalten werden können.
Die Idee mehr Frauen sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Niederlassungsbewilligung für den Zivilschutz zu gewinnen, ist sicher löblich, aber ich sehe da nicht sehr viel Potential. Denn wer freiwillig Zivilschutz leisten möchte, muss neben viel Eigeninitiative auch noch die Bewilligung des Arbeitgebers einholen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das nicht immer einfach ist. Auch die Bereitschaft, etwas für die Allgemeinheit zu leisten, ist in den letzten Jahren gesunken. Das spüren Vereine aber auch Milizbehörden. Weshalb dann ausgerechnet mehr Freiwillige zum Zivilschutz kommen sollten, ist mir ein Rätsel. Und die Rede ist von über 300 Freiwilligen pro Jahr, welche zusätzlich rekrutiert werden müssten. Aus meiner Sicht ist noch keine Lösung bereit und die Übergangsfrist nur ein kleines Pflaster auf einer grossen Wunde. Ausbaden müssen es wir an der Front. Denn wenn ein Ereignis da ist und wir wegen Personalmangel nicht die volle Leistung bringen können, wird die einzige Reaktion sein: «Der Zivilschutz war nicht im Stande…»

Tobias Kehrer, Kdt ZSO Mutschellen und Vorstandsmitglied AZSV

Weiterführendes Material:

Einige Beispiele, welche aufzeigen wie wichtig die ZSO für die Regionen sind.
Hochwasser 2017 im Raum Zofingen.

der zivilschutz - zum schutz der bevölkerung